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Jüdische Allgemeine / Literatur / 14.02.2013
Ein Breslauer in Bolivien
-Das Leben des Verlegers Werner Guttentag-
von Gert Eisenbürger
Es ist das Verdienst von Autor Stefan Gurtner und der kleinen Edition AV, die faszinierende Biografie und die bemerkenswerte Lebensleistung Werner Guttentags jetzt auch in seinem deutschen Geburtsland zu würdigen – in Bolivien waren ihm noch zu Lebzeiten zahlreiche Ehrungen zuteil geworden. Darüber hinaus ist Guttentag eine spannende Darstellung zentraler Perioden der deutschen wie der bolivianischen Geschichte.

Dass Migranten das kulturelle Leben ihres Ziellandes bereichern, ist längst ein Allgemeinplatz. Die Geschichte Werner Guttentags (1920–2008) ist dennoch außergewöhnlich. Wie aus einem Breslauer jüdischen Jugendlichen der wichtigste Verleger Boliviens wurde, erzählt Stefan Gurtner in seiner Biografie.
Schon als Zwölfjähriger schloss Werner Guttentag sich der sozialistischen »Freien Deutsch-Jüdischen Jugend« an, die unmittelbar nach der Machtübernahme der Nazis begann, Widerstand gegen das Regime zu leisten. Viele der Jugendlichen wurden verhaftet, andere konnten in die nahe gelegene Tschechoslowakei fliehen. Auch Werner Guttentag verließ 1938 Breslau und kam über Luxemburg in die Niederlande. Er fand Aufnahme im Werkdorf Wieringermeer, wo jüdische Jugendliche auf die Alija vorbereitet wurden. Weil er nicht gegen die arabische Bevölkerung kämpfen wollte, nahm er kurz vor Kriegsbeginn die Möglichkeit einer Ausreise nach Bolivien wahr. Anfang 1940 traf er dort ein und ließ sich in Cochabamba nieder. Hier eröffnete er 1945 eine Buchhandlung, was angesichts des Umstands, dass rund 90 Prozent der Bevölkerung nicht lesen konnten, mehr als ein Wagnis war. Doch Guttentag behauptete sich, konnte später sogar Filialen in anderen bolivianischen Städten eröffnen.

Die Bücher bezog er zunächst vor allem aus Argentinien. In Bolivien gab es keine Verlage. Einzelne Autoren publizierten ihre Texte in Eigenregie. 1950 bat der Schriftsteller Jesús Lara – der heute als wichtigster bolivianischer Autor des 20. Jahrhunderts gilt – Guttentag, seinen Roman Surimi zu veröffentlichen. Das war die Geburtsstunde des Verlags »Los Amigos del Libro« (Die Freunde des Buches), der in den folgenden fünf Jahrzehnten rund 1200 Titel veröffentlichte, neben Romanen und Erzählungen fast aller bedeutenden bolivianischer Autoren zahlreiche landeskundliche Sachbücher. Viele von Guttentags Autoren gehörten nicht nur zur intellektuellen Elite Boliviens, sondern waren auch wichtige Köpfe der Linken. Als es ab 1964 in der Andenrepublik zu einer fast 18-jährigen Abfolge von Militärdiktaturen kam, gerieten viele von ihnen unter Druck, mussten ins Exil gehen, wurden inhaftiert oder gar getötet. Auch Werner Guttentag machte Erfahrungen mit der Repression. 1971 brachte er Jesús Laras Buch Guerillero Inti heraus, das die Geschichte des kurz zuvor getöteten Guerillaführers Inti Peredo erzählt. Der deutschstämmige Diktator Hugo Banzer reagierte mit Gewalt: Paramilitärs drangen in Druckerei und Buchhandlung ein, beschlagnahmten fast 3000 Exemplare des Buches und verbrannten sie. Werner Guttentag wurde kurzzeitig inhaftiert, weil die Diktatur aus den Honoraren, die er als Verleger Jesús Lara gezahlt hatte, eine Finanzierung der Guerilla konstruieren wollte.
Stefan Gurtner: »Guttentag. Das Leben des jüdischen Verlegers Werner Guttentag zwischen Deutschland und Bolivien«. Edition AV, Lich 2012, 542 S., 24,50 €